Samstag, 29. September 2007

Tiffy
schneckle, 12:49


Morgendliches Kleinstadtidyll, der Vati holt die Brötchen und die ersten Grüppchen machen sich auf den Weg in die Kirche. Ich im Schlafanzug und wildem Haar. Vor meiner Tür sitzt eine Frau, weinend, und nur leicht bekleidet. Eine ganze Weile sitzt sie da schon. Höre ihr weinen bis hoch in meine Wohnung. Ob sie aus dem Gewerbe kommt nach dem Sie ausschaut, ich weiß es nicht. Ein Satz der mich verfolgen wird. Viel werde ich von ihr nicht erfahren. Angst hat Sie, ganz schreckliche Angst, die sieht man in ihren Augen. Die Zähne klappern. An ihren Fingern ein wenig Blut. Ein Nagel ist abgebrochen. Der Rotz läuft ihr aus der Nase und eine Schnapsfahne kommt mir entgegen. Sie hat Angst ganz schreckliche Angst. Und ich hocke da vor ihr und mir kommen schlimme Bilder. Sie kann sich nicht erinnern. Ich weiß es nicht. Nur dieser eine Satz, unterbrochen vom Zähneklappern und Weinen. Ich weiß es nicht. Ich beruhige Sie, ziehe ihr die Jacke über, frage Sie aus. Ich weiß es nicht. Was macht man in so einer Situation? Polizei rufen. Ja, die kümmern sich dann und ich kann auch endlich meine Brötchen holen. Ich kann nicht, sie hat so Angst und ich möchte ihr helfen, aber wie? Ich frage Sie was passiert ist, ob ihr jemand wehgetan hat. Sie sagt nur sie möchte aufwachen und dann ist alles wieder gut. Was macht man da? Sie schaut mich an, ich würde sie gern in Arm nehmen und wiegen. Ich streichle ihr über den Arm. Sie nimmt meine Hand. Nicht die Polizei, nicht die Polizei. Aber ich möchte dir so gerne helfen. Kannst du dich an gar nichts mehr erinnern? Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht. Ich heiße ***** und du? Leise ganz leise kommt was raus. Ich verstehe Sie nicht. Sie wischt sich die Spucke von der Backe. Tiffy. Hallo Tiffy. Wohnst du hier, soll ich dich nach Hause bringen, soll ich jemanden für dich anrufen? Ich möchte dir helfen. Sie kramt ein Handy aus ihrer Tasche. Sie zittert, sie zittert so sehr, dass ich gar nicht glauben kann, dass sie eine Nummer findet. Sie gibt mir das Handy. Da steht ein Männername. Den soll ich für dich anrufen? Soll er dich abholen? Sie nickt. Ich kann noch nicht den grünen Knopf drücken. Ist das ein Freund? Ich weiß es nicht, keiner kommt, keiner kommt, nie kommt einer, keiner kommt. Ich wähle die Nummer. Ein Mann am Ende, er denkt ich wär Tiffy. Wo bist du fragt er. Er hat keine nette Stimme. Vielleicht hätte ich doch die Polizei rufen sollen. Er kommt. Noch mal frage ich sie, ob er ein Freund ist, ob sie wirklich möchte, dass er sie abholt. Keiner kommt, keiner kommt, keiner kommt, lass mich nicht allein. Ich bleibe bei dir, ich geh nicht weg. Wieder nimmt sie meine Hand. Vielleicht soll ich doch noch die Polizei rufen. Sie ist betrunken und sie ist völlig orientierungslos, aber dann wieder blickt sie mich so klar und tief an. Jetzt hab ich Angst. Eine Stunde schon sitze ich da mit ihr. Keine fünf Minuten nach dem Anruf hält ein Wagen. Er steigt aus, kaum das er die Wagentür zugeschlagen hat, brüllt er ihren Namen. Tiffy, los komm. Scheiße, ich hätte die Polizei rufen sollen. Er packt sie am Arm und zerrt sie hoch. Ich frage ihn, ob er ihr Freund ist. Ob er weiß was passiert ist, wo sie gestern war? Ein Bekannter, das ist alles was er mir sagt. Er will nicht wissen, was los ist, wer ich bin, wo ich sie gefunden habe, wie lange sie hier schon sitzt. Nichts. Stellt ihr keine Fragen, nimmt sie am Arm und geht mit ihr zum Wagen. Ich denke nur immer wieder scheiße, scheiße, scheiße. Sie nimmt wieder meine Hand. Keinen Ärger machen, keinen Ärger machen. Nein du hast mir keinen Ärger gemacht. Will ihr meine Nummer geben, ihr sagen, dass ich hier wohne, dass sie vorbeikommen kann, wenn sie will. Ich mach es nicht, er steht die ganze Zeit neben ihr. Scheiße, scheiße, scheiße. Sie fahren weg und ich notier mir sein Kennzeichen. Scheiße.

Liebe Tiffy ich wünsche dir sehr, dass du morgen aufwachst und alles ist wieder gut.

Anekdoetchen

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Manchmal frage ich mich, woher diese finsteren, scheinbar unwirklichen Charaktere kommen, die in all diesen schlechten Krimiserien gezeigt werden. Aber dann lese ich Blogs und weiß, sie sind leider nicht so unwirklich.

Das Kennzeichen hätte ich mir wohl auch notiert; aber hätte es danach in den Händen gehalten und nicht gewusst, was tun damit. Wissen Sie's?

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Nein, ich weiß es auch nicht. Wahrscheinlich hab ich es nur gemacht, um mein eigenes Gewissen zu beruhigen. Nein, vorwerfen kann man mir nichts, schließlich hab ich sein Kennzeichen. Ob ihr damit geholfen ist, weiß ich nicht. Ob sie gerade verprügelt wird, weiß ich nicht. Ob sie letzte Nacht vergewaltig wurde, weiß ich nicht. Aber ich hab todesmutig sein Kennzeichen notiert. Scheiße.
Ich hoffe Sie war einfach nur betrunken und er einfach nur morgenmuffelig. Ich muss es nur lange genug vor mich her sprechen.

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Oh, eine beschissene Situation.
Ich bin auch einmal einer Frau begegnet, die sich mit ihren Kind im Kinderwagen in eine Bücherhalle gerettet hat. Ich habe mich damals vor sie gestellt und habe dem Mann gedroht, er solle nur nicht versuchen,die Frau holen zu wollen, dann bekäme er es mit mir zu tun ( ich frage mich gerade, wie ich denken konnte, dass würde ihn abhalten, aber er ist dann tatsächlich verschwunden)
Ich habe dann stundenlang mit der Frau geredet, Telefonnummern von Frauenhäusern herausgesucht, versucht ihr Mut zumachen,von diesem Mann wegzugehen, der sie schlägt und schlecht behandelt , um dann mitansehen zu müssen, wie sie freiwillig wieder nach Hause zu ihm ging.

Eine harte Lektion.

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Wahrlich ein harte Lektion und trotzdem würde Sie wahrscheinlich immer wieder so handeln. Oder?

Das was mich bei Tiffy den ganzen Tag noch beschäftigt hat, war diese Ungewissheit. Die Situation, ihr Zustand, Er, der Sie abholte, all das lies meiner Phantasie freien Lauf, in alle erdenklichen Richtungen, ohne das ich einen Anhaltspunkt für die Richtigkeit eine der Richtungen in den Händen halten konnte.

Ich weiß es nicht.

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Allein beim Lesen dreht sich mir der Magen. Zu meinen Schulzeiten ging in meine Klasse eine, an die Tiffy mich stark erinnert. Und egal, wie oft wir auf sie einredeten und wie oft sie sagte, wir hätten ja eigentlich Recht, sie lief immer wieder zu ihrem Macker zurück. Und wir standen daneben und sahen betroffen zu. Kein schönes Gefühl.

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